1. Einleitung

Der technische Fortschritt schreitet immer weiter voran, Computer werden immer leistungsfähiger und vielseitiger. Auch die künstliche Intelligenz entwickelt sich entsprechend. Was vor kurzer Zeit noch unmöglich schien, ist heute bereits für die breite Masse verfügbar. Der Fortschritt der künstlichen Intelligenz treibt auch die Entwicklung von autonomen Maschinen voran. Das autonome Fahrzeug, auch „KI auf vier Rädern“ genannt, steht exemplarisch für KI-basierte Robotik, die aus Hard- und Software besteht – vergleichbar mit Körper und Geist.

Lange hatten Roboter und KI nicht unbedingt viel gemeinsam, so mancher Forscher aus einer der beiden Disziplinen sieht das immer noch so. Doch die Entwicklung autonomer Maschinen zeigt, wie KI und Robotik in immer mehr Bereichen zusammenwachsen. Die Autoren beobachten parallele Entwicklungen in der Computerintelligenz und der Robotik, wo der Schwerpunkt auf morphologischen Berechnungen und sensomotorischer Koordination in evolutionären Robotikmodellen liegt. In den Neuro- und Kognitionswissenschaften liegt der Fokus hingegen auf verkörperter Kognition und entwicklungsrobotischen Modellen des verkörperten Symbollernens. Die Entstehung der verkörperten Intelligenz steht in einem engen Zusammenhang mit diesen Entwicklungen. Verkörperte Intelligenz ist der rechnerische Ansatz für die Entwicklung und das Verständnis intelligenten Verhaltens von verkörperten und situierten Agenten. Sie wird durch die Berücksichtigung der strikten Kopplung zwischen dem Agenten und seiner Umgebung (Situiertheit), die Beschränkungen des eigenen Körpers, des Wahrnehmungs- und Aktoriksystems und der mit dem Agenten physisch gekoppelten „Intelligenz“ ausgedrückt.1 Maschinen mit verkörperter Intelligenz sind Systeme, die sich selbst regulieren können. Sie reagieren derzeit auf eine relativ starre aber in Zukunft adaptive Weise auf Veränderungen in der Umgebung. Es handelt sich um Systeme, die mit geringem oder ganz ohne menschliches Eingreifen funktionieren. Man kann ihre Anfänge heute schon beobachten, aber sie werden massenhaft erst in der Zukunft in noch viel ausgereifteren Formen in Erscheinung treten. Maschinen mit verkörperter Intelligenz gelten aus Sicht der Autoren in Verbindung mit der Plattformökonomie mittelfristig als zentrale Basisinnovation des nächsten Wachstumszyklus.

1.1. Methodik

Die vorliegende Arbeit kombiniert die Theorie der langen Wellen nach Schumpeter/Kondratieff und Innovationsmethoden zur strategischen Vorausschau miteinander. Nach Einschätzung der Verfasser werden in der unmittelbaren Zukunft massive Veränderungen der sozioökonomischen Systeme auftreten – bedingt durch die digitale Transformation.

Reorganisationsprozesse der Gesellschaft und ihrer soziotechnischen Basis heißen Kondratieff-Zyklen. Ein Wirtschaftszyklus ist nach Kondratieff eine 40 bis 60 Jahre dauernde „Langwelle“ der Konjunktur. Der russische Wissenschaftler Nikolai D. Kondratieff (1892–1938) gilt als der Begründer der Theorie der „langen Wellen“. 1926 veröffentlichte er als Direktor des Moskauer Institutes für Konjunkturforschung seine Erkenntnisse. Kondratieff belegt darin, dass nicht Kriege oder Revolutionen, sondern die Dynamik der Marktwirtschaft die langen Wellen verursachen. Ein Kondratieff-Zyklus ist durch gesamtwirtschaftliche Daten nachweisbar, etwa durch die amtliche Statistik der Konjunkturdaten.

Nach dieser Theorie befinden wir uns am Ende des fünften Kondratieff (Innovationen in der Kommunikations- und Informationstechnik). Der sechste Kondratieff (Innovationen durch autonome Systeme) befindet sich in seiner Anfangsphase. Er ist deshalb noch nicht in der Lage, die Weltwirtschaft in einen stabilen, robusten Wachstumskurs und die Gesellschaft zu größerer sozialer Ordnung zu führen. Kondratieff nennt unter anderem vier Kennzeichen, die einen Umbruch zu einem neuen Kondratieff-Zyklus einleiten:2

  • Erschöpftes Nutzungspotenzial alter Basisinnovationen (Zyklus von circa 40 bis 60 Jahren)
  • Hoher Überschuss an Finanzkapital (versus Sachkapital)
  • Starke Rezessionsphase (Phase des Umbruchs)
  • Soziale/institutionelle Veränderungen
Abbildung 1: Die Future-of-Business-Methode im Rahmen der vorliegenden Untersuchung
Abbildung 1: Die Future-of-Business-Methode im Rahmen der vorliegenden Untersuchung

Die in Abbildung 1 dargestellte Future-of-Business-Methode bietet insbesondere in der aktuellen Transformationsphase einen proaktiven Ansatz zum Abschätzen von Risiken und Chancen für Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Die systematische Analyse der Trends und ihrer Strukturen führt zu der Erkenntnis, dass wir kurz- und mittelfristig mit massiven Trendbrüchen umgehen müssen. Grundlagen, um vorauszudenken und zukünftige Entwicklungen vorausschauend zu antizipieren, bilden die historischen Analysen der Kondratieff-Zyklen und die Erfolgskriterien alter und neuer Hyperscaler.

Hyperscaler beziehungsweise Firmen mit Hyperscale-Strukturen sind Unternehmen, die große, weltweit verteilte Rechenzentren betreiben und anderen Firmen Rechenleistung, Speicherplatz und Netzwerkkapazität als Cloud- Computing zur Verfügung stellen. Damit haben diese Unternehmen eine strategische Grundlage für künftige Entwicklungen im Rahmen der digitalen Transformation geschaffen.

Die Anwendung der Future-of-Business-Methode ermöglicht es, bestehende Denkmuster zu überwinden und eine visionäre Sicht auf die Zukunft zu entwickeln. Die hier vorliegende Untersuchung hilft dabei, Anzeichen von Veränderungen und deren Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Sie ermöglicht es zudem, die Zukunft bewusster zu gestalten. Die zentrale Chance für die gesellschaftlichen Akteure besteht darin, sich langfristig strategisch neu auszurichten. Die von den meisten gegenwärtigen Projekten verfolgten extrapolativen Methoden der Strategieentwicklung helfen in der aktuellen Situation nicht weiter.

Die Digitalisierung ist ein schneller Prozess, der im Rahmen der digitalen Transformation 2.0 zu einer völlig neuen Dimension in der Wertschöpfungsarchitektur führt. Hier sehen die Autoren in erster Linie die Verbindung von Plattformökonomie und verkörperter Intelligenz, welche eine Kombination von niedrigen Transaktionskosten mit geringen Funktionskosten generiert, als zentral an. Dieser Aspekt stellt aus Sicht der Untersuchung die entscheidende ökonomische Basisinnovation für mindestens die nächsten 20 Jahre dar. Hinzu kommt die Notwendigkeit, im ersten Schritt eine nachhaltige Energieversorgung für eine autonomere Gesellschaft auf die Beine zu stellen, um eine der größten Herausforderungen der Menschheit zu bewältigen. Dieser Aspekt wirkt viel langfristiger und wird den 6. Kondratieff-Zyklus maßgeblich prägen. Der Ansatz der Purpose Economy verbindet beide Aspekte und wirkt somit als Gestaltungselement beim Übergang zwischen den Kondratieff-Zyklen. Die vorliegende Kurzfassung stützt sich im Wesentlichen auf die Kernaussagen der Untersuchung und die Diskussionen der Interviewergebnisse sowie die daraus abgeleiteten Erkenntnisse und Implikationen für Handlungsempfehlungen.

  1. Angelehnt an: Cangelosi, A.; Bongard, J.; Fischer, M.H.; Nolfi, S.: „Embodied Intelligence”, in J. Kacprzyk & W. Pedrycz (Eds.): Springer Handbook of Computational Intelligence, Springer Preprint (2015), S. 697–714: www.researchgate.net
  2. „Der 6. Kondratieff – Wohlstand in langen Wellen“, Allianz Global Investors (Januar 2010), S. 6: www.allianz.com