4. Embodied Intelligence

Viele Unternehmen in Industriemärkten wie der Investitionsgüterindustrie durchlaufen einen grundlegenden Wandel vom Verkäufer von Maschinen zum Anbieter von Dienstleistungen. Dadurch können sie ihren Kunden integrierte Lösungen anbieten, die aus Waren und Dienstleistungen bestehen.1 Diese neuen Arten von Dienstleistungen wurden erst durch die Möglichkeit, sich aus der Ferne mit physischen Geräten zu verbinden, realisierbar – beflügelt durch Synergien zwischen technologischen Fortschritten und der weitverbreiteten Nutzung von Mobilgeräten, der Datenwissenschaft sowie dem Internet der Dinge. Intelligente Produkte avancieren zu Wegbereitern für die Erbringung smarter Dienstleistungen. Sie können nicht nur Felddaten sammeln und analysieren, sondern auch Entscheidungen treffen und autonom handeln, wodurch sich Dienstleistungen und Geschäftsmodelle erheblich verändern.2

Die Etablierung eines Plattformgeschäftsmodells gilt als besonders vielversprechende Strategie, um die Marktführerschaft zu erobern. Plattformen stellen das traditionelle Pipeline-Geschäftsmodell („Wertschöpfung durch die Kontrolle einer linearen Reihe von Aktivitäten“3) grundlegend infrage. Gleichzeitig gehen digitale Plattformen über die in der Dienstleistungslehre propagierte gemeinsame Wertschöpfung mit den Kunden hinaus, indem sie zwei- oder mehrseitige Marktplätze verwenden, die es Nutzern ermöglichen, miteinander zu interagieren und Transaktionen durchzuführen. Angesichts des Erfolgs von Plattformgeschäftsmodellen überrascht es nicht, dass Firmen mit produktorientierten Geschäftsmodellen sowie Hersteller, die sich zu intelligenten Dienstleistungsanbietern entwickeln wollen, die Einführung von Plattformgeschäftsmodellen in Erwägung ziehen. Das Interesse der Unternehmen an diesem Thema rührt auch von der Beobachtung her, dass der Wettbewerb zwischen Plattformen auf demselben Markt unter bestimmten Bedingungen zu einem „Winner takes all“-Ergebnis führen kann4, wobei Vorreiter einen erheblichen Vorteil haben können5. Da der Aufbau einer Basis von intelligenten Produkten als Voraussetzung für das Angebot von intelligenten Diensten und einer cleveren Serviceplattform gilt, gelingt dies nur Unternehmen, die den Übergang zu einem modernen Serviceanbieter bereits vollzogen haben. Bislang haben nur sehr wenige Firmen – die meisten von ihnen sind auf B2C-Märkten tätig – Plattformen auf ihren intelligenten Produkten und Diensten aufgebaut. Für B2B-Märkte hingegen liegen hinsichtlich der erfolgreichen Implementierung von intelligenten Serviceplattformen jedoch bisher kaum Daten vor.

Das Aufkommen der Plattformökonomie im Sinne intelligenter Dienstleistungsplattformen stellt etablierte Konzepte von Dienstleistung infrage und verändert sie. Dabei spielt es eine entscheidende Rolle, Plattformökonomie-Theorien zu verstehen und zu integrieren. Zu den Nutzern werden in Zukunft hauptsächlich Endkonsumenten und Maschinen zählen, die es schaffen, autonom Dienste auf einer Plattform anzubieten oder zu konsumieren. Durch die Aufarbeitung der Literatur zum Thema Embodied Intelligence geraten Herausforderungen in den Fokus, die Anbieter von intelligenten Dienstleistungen, die auf Embodied Intelligence basieren, beim Eintritt in die Plattformökonomie bewältigen müssen.

4.1. Definition Embodied Intelligence (EI)

Für eine ausführliche Diskussion und die Definition des Begriffs Embodied Intelligence in Anlehnung an Cangelosi6 sei auf den Anhang verwiesen. Wissenschaftliche Untersuchungen zur verkörperten Intelligenz beschäftigen sich mit den unterschiedlichsten Disziplinen: Robotik, Computerwissenschaften, Psychologie, Neurobiologie und Ingenieurwesen – oft in enger Kooperation. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Fähigkeit des verkörperten Agenten, in seiner Umgebung zu lernen und sich zu entwickeln. Diese Kompetenzen werden im Rahmen dieser Studie als essenziell betrachtet, soweit sich der verkörperte Agent damit bei seiner zielgerichteten Handlung an seiner Umgebung orientieren kann, jedoch weniger zur Ab-initio-Ausbildung bestimmter Fähigkeiten. Diese Studie geht davon aus, dass der verkörperte Agent bereits über ein umfassendes Repertoire an notwendigen Eigenschaften und Verhaltensmustern verfügt, bevor er vor Ort eine zielgerichtete Aufgabe ausführt. Begreift man den verkörperten intelligenten Agenten als Teilnehmer an digitalen Kerntransaktionen ökonomischer Plattformen, so gestalten die spezifischen Lernstrategien des Agenten die Art dieser Teilnahme. In Anbetracht der bisherigen Forschungsergebnisse liegt die Annahme nahe, dass diese Gestaltungsform auch von der morphologischen Kopplung, der sensomotorischen Koordination und der Embodied Cognition geprägt werden kann.

Nach Heiner Klocke handelt es sich bei intelligenten Agenten um autonome Systeme, die eigenständig wahrnehmen, entscheiden und handeln. Sie zeichnen sich durch Lernfähigkeit, Logik, Kreativität und manchmal auch Eigeninitiative aus, erinnern also eher an menschliches Verhalten als an die Funktionsweisen herkömmlicher Computerprogramme. Bei der Mensch-Computer-Interaktion operieren zunehmend sogenannte Interface-Agenten, die häufig intuitiv zwischen Mensch und Computersystem vermitteln. Eine der wichtigsten Aufgaben intelligenter Agenten besteht darin, nach Informationen zu suchen und diese zu speichern. Jede Entscheidung basiert auf Informationen und Wissen. Jeder Agent muss ausgeprägte Fähigkeiten und Algorithmen besitzen, um nach Informationen zu suchen und diese als Wissen zu speichern – der Mensch im Gehirn, die Software im Speicher des Computers.7

Vor diesem Hintergrund rückt die Lernfähigkeit und die damit verbundene Erweiterbarkeit des Funktions- und Aktionsraumes ins Zentrum des Interesses. Dazu muss man den Lernprozess beziehungsweise den Lebenszyklus kognitiver Systeme verstehen. Derartige Systeme sollen in der Lage sein, mithilfe der Verkörperung die Umgebung und die jeweilige Situation zu erfassen – beispielsweise durch Sensorik oder den Körper. Im weiteren Verlauf müssen die erfassten Informationen und Datenpunkte verarbeitet und mit Sinn und Semantik versehen werden. Das transformierte Wissen landet anschließend in Modellen, um mögliche Handlungsoptionen, Strategien und Lösungsräume abzuleiten und zu bewerten. Aus den unterschiedlichen Optionen wird – abhängig von den eigenen Zielvorstellungen – die für das System vielversprechendste Variante ausgewählt. Anschließend startet die Umsetzung beziehungsweise die Interaktion mit der Umgebung. Hier beginnt der essenzielle Schritt des Lernens aus dem eigenen Verhalten und den dabei durchgeführten Aktionen und Reaktionen der Umwelt. Aus den Erfahrungen entstehen Lern- und Reflexionsprozesse. Auf diese Weise interagieren künftige EI-Dinge in und mit den Plattformökosystemen, sie bauen eine Wissensbasis auf und setzen ihre Ziele immer besser um.

Kognitiver Zyklus
Abbildung 1: Kognitiver Zyklus einer Embodied Intelligence

4.2. Hochintegration als zentraler technologischer Treiber

Bei einem verkörperten intelligenten Agenten handelt es sich in der Regel um ein hochintegriertes System, das verschiedene, bisher selbstständige Komponenten eng in einem physikalischen Körper verbindet. Neben einer rein physikalischen Integration sind diese Komponenten auch stark energetisch und kommunikationstechnisch miteinander gekoppelt. Die Zusammenschaltung der Bestandteile erfolgt dabei aber nicht starr, sondern flexibel – je nach Anwendung. Die verbauten Komponenten können deshalb unterschiedlichen Einsatzzwecken dienen – auch solchen, die zum Zeitpunkt der Konstruktion des Systems noch nicht bekannt waren. Deshalb sind die Komponenten hinsichtlich ihres Leistungsvermögens großzügig dimensioniert und leiten sich nicht im Design-to-cost-Sinn aus einem begrenzten Satz festgelegter Features ab. Diese Art der Gestaltung führt in der Gesamtschau aller mit dem System realisierten Anwendungen zu minimalen Funktionskosten.8 9 10 Folglich verdrängt die Hochintegration von Maschinen bereits bestehende Lösungen. Letztlich wird sich bei gleicher oder besserer Performance ein System mit integrierten Funktionen gegenüber einem zusammengesetzten System mit nachträglich aufgesetzten Funktionsgruppen durchsetzen.

Den logischen nächsten Schritt der Hochintegration stellt die Embodied Intelligence dar. Die Stanford Encyclopedia of Philosophy sagt der einst unbedeutenden11 verkörperten Wahrnehmung heute eine große Bekanntheit nach. Im Gegensatz zur ökologischen Psychologie, die einen harten Kampf um die Akzeptanz in der breiten Öffentlichkeit führen musste, gewinnt die verkörperte Intelligenz eine große Anhängerschaft. Die verkörperte Intelligenz war Gegenstand zahlreicher Artikel in populären Medien. Darüber hinaus gibt es keinen Bereich der kognitiven Wissenschaft, der nicht durch die verkörperte Intelligenz eine Überarbeitung erfahren hätte.12

4.3. Von EI als Teilnehmer der Plattformökonomie zur Purpose Economy

Plattformökonomie – Nutzer – Embodied Intelligence
Abbildung 2: Strukturelemente der Plattformökonomie

Alle aktuellen Plattformen im Sinne der Plattformökonomie basieren auf der Hardware individuell genutzter Computer. Diese wiederum beruht auf hochintegrierter Halbleitertechnologie. Das zeigt, dass alle virtuellen Plattformen eine physische Plattform nutzen und benötigen, um Kontakt mit den Usern aufzunehmen. Jede neue physische Plattform bringt dann auch neue Ökosysteme hervor, die sich mittlerweile meist als virtuelle Plattformen manifestieren. Eine neue physische Plattform erschien 2007 mit dem iPhone, oft auch als „PC in the pocket“ bezeichnet. Die technologische Basis von iPhone und PC unterscheidet sich kaum, die Benutzerfreundlichkeit für Endkunden hingegen erheblich. Durch Smartphones entstanden zahlreiche neue digitale Plattformen und Ökosysteme mit vielen neuen Usern. Diese Entwicklung wird sich mit neuen Hardwareplattformen weiter fortsetzen. Ein Beispiel sind EI-Systeme, die als Nutzer von existierenden oder neuen Plattformökosystemen agieren.

In unserer Wirtschaft vollziehen sich viele Veränderungen: Millennials verzichten auf konventionelle Karrierewege, um Tech-Start-ups oder kleine Firmen mit lokaler Verwurzelung zu gründen oder ihr Know-how freiberuflich anzubieten. Die Menschen teilen Fahrräder, Autos und Zimmer in ihren Häusern. Sie kreieren, kaufen und verkaufen handgefertigte Produkte in digitalen Communitys. Aaron Hurst, Unternehmer, Gründer der Taproot Foundation und CEO von Imperative, argumentiert in seinem 2014 erschienenen Buch13, dass diese Entwicklungen zwar auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Zusammengenommen jedoch ergeben sie ein starkes Muster, das auf den Zweck („Purpose“) als neuen Motor der amerikanischen Wirtschaft hinweist. Ähnlich wie die Informationswirtschaft, die bisher Innovationen und Wirtschaftswachstum förderte, argumentiert Hurst, werde unser neues Wirtschaftszeitalter dadurch angetrieben, dass es die Menschen mit ihren Zielen verbindet. Es handele sich um eine Wirtschaft, in der der Wert darin liege, Mitarbeitern und Kunden einen erstrebenswerten Sinn zu vermitteln, indem sie Bedürfnisse befriedigen, die über ihre eigenen hinausgehen, persönliches Wachstum ermöglichen und eine Gemeinschaft aufbauen. Auf der Grundlage von Interviews mit Tausenden von Unternehmern zeigt Hurst, dass diese neue Ära bereits die Nachfrage nach einer ganzen Reihe von Produkten und Dienstleistungen ankurbelt und die Art und Weise verändert, wie Millennials ihre Karriere sehen. Eine neue Generation von Start-ups wie Etsy, Zaarly, Tough Mudder, Kickstarter und Airbnb findet neue Wege, um Werte zu schaffen, indem sie uns mit unseren lokalen Gemeinschaften verbindet. Gleichzeitig sind Unternehmen wie Tesla und Whole Foods auf dem Weg, nicht mehr nur wohlhabende Käufer anzusprechen, sondern zu Mainstream-Marken zu avancieren. Hurst bezeichnet diese Firmen zusammen mit den Pionierunternehmern, die sie gegründet haben, als die „Taste Makers“ der Purpose Economy.

Larry Fink, CEO von BlackRock (größte Investmentgesellschaft der Welt mit einem verwalteten Vermögen von über neun Billionen US-Dollar), sagte einmal: „Jedes Unternehmen braucht einen Rahmen, um sich in diesem schwierigen Umfeld zurechtzufinden, und dieser Rahmen muss mit einer klaren Verankerung des Unternehmenszwecks in seinem Geschäftsmodell und seiner Unternehmensstrategie beginnen.“ In einem Brief an die Aktionäre vom 31. März 2020 wies er erneut darauf hin, dass „Unternehmen und Investoren mit einem starken Sinn für den Zweck und einem langfristigen Ansatz besser in der Lage sein werden, diese [COVID-]Krise und ihre Folgen zu bewältigen“.14

Große Teile der Bevölkerung sind dank der quasi ubiquitären Verfügbarkeit der Kommunikationstechnologien über den Klimawandel, die Zerstörung natürlicher Ökosysteme, Kriege und Armut informiert. Eine zunehmende Anzahl von Menschen schaut über die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse (Unterkunft, Nahrung, Bildung, Prestige) hinaus. Dies kommt durch die Gründung von Unternehmen wie Got Bag (deutscher Hersteller von Rücksäcken und Taschen aus Meeresplastik) oder Fairbnb (Plattform für Buchung und Vermietung von Unterkünften mit Anspruch auf Nachhaltigkeit) sowie durch neue Geschäftsmodelle wie Carsharing zum Ausdruck. Aaron Hurst verweist auf den Aufstieg einer neuen volkswirtschaftlichen Ordnung (Purpose Economy), die er als „im Kern erste Volkswirtschaft entwickelt für den Menschen“ beschreibt. Diese ersetzt die Informationswirtschaft (Information Economy), genauso wie die Informationswirtschaft die industrielle Wirtschaft (Industrial Economy) und diese die landwirtschaftliche Wirtschaft (Agrarian Economy) als Schwerpunkte der gesellschaftlichen Entwicklung ersetzt haben. Der Wandel geht mit strukturellen Änderungen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft einher. Für immer mehr Menschen stellt ein Leben mit Zweck nicht nur eine Option, sondern eine Notwendigkeit dar. Eine Einzelperson gewinnt einen Sinn durch persönliches Wachstum, Beziehungen und den Beitrag zu etwas Größerem.15

Für Firmen bedeutet das: Sie müssen ihre Mitarbeiter nicht nur bezahlen und ihren Kunden nicht nur Lösungen liefern, sondern ihnen auch zeigen, dass diese Lösungen einem übergeordneten Zweck dienen. Erwartungen an die Einbindung sozialer und ökologischer Ziele im Tagesgeschäft nehmen immer mehr zu. Das Davos Manifest 2020 hat diese Entwicklung durch seine Definition der universellen „Aufgabe eines Unternehmens in der Vierten Industriellen Revolution“ bestätigt. Laut diesem Manifest ist ein Unternehmen „mehr als eine Wirtschaftseinheit, die Wohlstand schafft. Es erfüllt menschliche und gesellschaftliche Bestrebungen als Teil des breiter gefassten Sozialsystems. Die Leistung muss nicht nur an der Aktionärsrendite gemessen werden, sondern auch daran, wie es seine Ziele in den Bereichen Umwelt, Soziales und Good Governance erreicht.“16 17 Die Betonung liegt also auf der Verantwortung der Unternehmen für die globale Zukunft der Menschheit.

Zwischen 2016 und 2020 hat sich die globale Anzahl der gesetzlichen und freiwilligen ESG-Regelungen (ökologische, soziale und Unternehmensführung) und -Standards fast verdoppelt.18 In der EU soll künftig eine Richtlinie für Unternehmensnachhaltigkeit in puncto Berichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) die Nonfinancial Reporting Directive ersetzen. Das Ziel der CSRD besteht darin, die Berichterstattung für Nachhaltigkeit näher an die Finanzberichterstattung zu bringen: Die Richtigkeit der Nachhaltigkeitsinformationen soll mit „eingeschränkter Sicherheit“ durch Auditoren gesichert werden. Eine Option für ausreichende Sicherheit („reasonable assurance“, Anforderung für finanzielle Informationen) soll später folgen.19 20 Dass Nachhaltigkeitsziele für Investoren eine immer wichtigere Rolle spielen, zeigte sich spätestens 2021 mit dem jährlichen Brief des BlackRock-Geschäftsführers Larry Fink an zahlreiche CEOs. Darin fordert er die Firmen dazu auf, klimaneutral zu werden: „Wir rufen Unternehmen auf, einen Plan vorzulegen, aus dem hervorgeht, wie sie ihr Geschäftsmodell an eine klimaneutrale Wirtschaft anpassen wollen – also an eine Wirtschaft, in der die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt wird und die mit dem globalen Ziel von Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis 2050 vereinbar ist. Wir fordern Sie auf darzulegen, wie Sie diesen Plan in Ihre langfristige Geschäftsstrategie einbinden und wie Ihr Aufsichtsrat die Einhaltung überprüfen wird.“21

Die Autoren dieser Studie schlagen eine wirtschaftliche Architektur vor, um die schwierigen Anforderungen der Transformation zur Purpose-Ökonomie zu meistern.

Das nächste große Ding
Abbildung 3: Das neue Leitbild – Zusammenspiel von EI und Plattformökonomie führt zur Purpose Economy

Die Kombination aus minimalen Transaktionskosten der Plattformökonomie einerseits und geringen Funktionskosten aufgrund von mehr Maschinen mit Embodied Intelligence andererseits eröffnet die Möglichkeit, den Anforderungen der Purpose Economy in Bezug auf einen effizienten und universellen Einsatz von Ressourcen gerecht zu werden. So bieten selbstfahrende Fahrzeuge als User einer digitalen Mobilitätsplattform die Chance, sowohl die Auslastung als auch die Belegung von Fahrzeugen deutlich zu steigern und unnötige Standzeiten zu minimieren. Das reduziert die Anzahl der benötigten Fahrzeuge und den Flächenbedarf für die Mobilität. Das Beispiel der selbstfahrenden Autos zeigt, wie künstliche Intelligenz und physischer Körper eine funktionale Einheit bilden. Das demonstriert auch Apples Projekt „Titan“, zu dem Apple-Chef Tim Cook sagt, dass dieses selbstfahrende Auto die Mutter aller Artificial Intelligence sei. Zudem beschreibt er, dass die Kombination der drei Faktoren „self driving cars, electric vehicles and ride sharing“ die Automobilindustrie wieder interessant macht.

Aus Sicht der Autoren unterstreicht das, dass künstliche Intelligenz einen Körper wie etwa in Form eines Autos braucht, um sich in einer dynamischen Welt zu entwickeln und an sie anzupassen. Damit stellen diese Fahrzeuge sozusagen einen ersten Prototypen von Embodied Intelligence dar. In Kombination mit dem Ride Sharing über digitale Plattformen wird zudem das Thema der Nachhaltigkeit adressiert. Neben einem veränderten Leitbild stellt die Embodied Intelligence damit einen entscheidenden Faktor für den Einstieg in die Purpose Economy dar.

4.4. Konzeptuelle Basis

Die Menschheit befindet sich in einer stark transformativen Phase. Die Theorie der Kondratieff-Zyklen deutet auf einen massiven Umbau der soziotechnischen Systeme hin. Die digitale Transformation wird voraussichtlich die zukünftigen ökonomischen Maßstäbe setzen, an der sich alle weiteren Transformationsansätze orientieren werden. Eine digitale Wirtschaft funktioniert jedoch anders als eine analoge. Für Hyperscaler beziehungsweise Firmen mit Hyperscale-Strukturen zeigt sich das insbesondere in Form von starken Netzwerkeffekten und Skalenerträgen. Wenn der erwartete Nutzen eines Produkts oder eines Dienstes mit steigender Nutzerzahl zunimmt, ist das ein direkter Netzwerkeffekt. Das wird vor allem auf Internet- beziehungsweise Social-Media-Plattformen deutlich. Die Plattformökonomie basiert auf dem Austausch zwischen Nutzern, die die Anforderungen der Plattformökonomie erfüllen müssen. Hyperscaler haben die heute dominanten Plattformökosysteme entwickelt und betriebswirtschaftlich nutzbar gemacht. Mittlerweile treten jedoch sichtbare Sättigungseffekte bei den Nutzerzahlen und betriebswirtschaftlichen Erfolgen auf.22 Um diesem Trend entgegenzuwirken, können sich EI-Systeme als zusätzliche Nutzer in bestehenden oder in sich neu entwickelnden Plattformökosystemen etablieren.

Die Autoren schlagen eine wirtschaftliche Architektur vor, die eine Orientierung im schwierigen Umfeld der Transformation hin zur Purpose-Ökonomie bieten soll. Der verstärkte Einsatz von Maschinen mit Embodied Intelligence als Nutzer digitaler Plattformökosysteme führt zu einer optimalen Ressourceneffizienz durch minimale Transaktions- und Funktionskosten. Dieser ökonomische Rahmen kann helfen, einen klaren Unternehmenszweck zu definieren sowie neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Zudem stellt er eine gute Basis dar, um Unternehmensstrategien neu auszurichten.

  1. Tuli, K. R.; Kohli A. K.; Bharadwaj S. G.: „Rethinking customer solutions: from product bundles to relational processes“, Journal of Marketing, Vol. 71 No. 3 (2007), S. 1–17.
  2. Wünderlich, Nancy. V.; von Wangenheim, Florian; Bitner, Mary Jo: „High tech and high touch: a framework for understanding user attitudes and behaviors related to smart interactive services“, Journal of Service Research, Vol. 16 No. 1 (2013), S. 3–20.
  3. van Alstyne, M. W.; Parker, G. G.; Choudary, S. P.: „Pipelines, platforms, and the new rules of strategy“, Harvard Business Review, Vol. 94 No. 4 (2016), S. 54–62.
  4. Eisenmann, T. R.; Parker, G. G.; van Alstyne, M. W.: „Strategies for two-sided markets“, Harvard Business Review, Vol. 84 No. 10 (2006), S. 92–101.
  5. Park, S.: „Quantitative analysis of network externalities in competing technologies: the VCR case“, The Review of Economics and Statistics, Vol. 86 No. 4 (2004), S. 937–945.
  6. Cangelosi, Angelo; Bongard, Josh; Fischer, Martin; Nolfi, Stefano: „Embodied Intelligence“, Springer Handbook of Computational Intelligence (2015), S. 697–714: www.researchgate.net
  7. Klocke, Heiner: „Intelligente Agenten“, Fachhochschule Köln, Campus Gummersbach (2011–2012): www.gm.fh-koeln.de
  8. „Hochintegration für geringe Leistungsaufnahme“, Elektroniknet.de (2018): www.elektroniknet.de
  9. Chamas, Mohamad; Hopfensitz, Wolfgang; Obergfell, Philipp; Oszwald, Florian; Traub, Matthias: „Entwicklung eines Informationsmodells für eine Hochintegrationsplattform im Automotive-Umfeld“, Tag des Systems Engineering (2019): https://publikationen.bibliothek.kit.edu
  10. Wienhausen, Arne Hendrik: „High Integration of Power Electronic Converters enabled by 3D Printing“, Promotion, Aachener Beiträge des ISEA, Band 131 (2019)
  11. Wirtz, Markus Antonius: „Dorsch – Lexikon der Psychologie“: https://dorsch.hogrefe.com
  12. Shapiro, Lawrence; Spaulding, Shannon: „Embodied Cognition“, Stanford Encyclopedia of Philosophy (2021): https://plato.stanford.edu
  13. Hurst, Aaron: „The Purpose Economy: How Your Desire for Impact, Personal Growth and Community Is Changing the World“ (2014): www.amazon.de
  14. Social purpose institute: „Action agenda for all Canadians in accelerating and scaling social purpose business“, https://socialpurpose.ca
  15. Hurst, Aaron: „The Purpose Economy: How your Desire for Impact, Personal Growth and Community is Changing the World“ (2014): www.amazon.de
  16. Schwab, Klaus: „Das Davos Manifest 2020: Die universelle Aufgabe eines Unternehmens in der Vierten Industriellen Revolution“, World Economic Forum (2020): https://es.weforum.org
  17. Die Weichen für das Davos Manifest 2020 wurden schon im Jahr 1973 mit dem Manifest „A Code of Ethics for Business Leaders“ gestellt. Das Manifest von 1973 fokussierte die Verantwortung eines Unternehmens auf Stakeholder wie Kunden, Aktionäre, Mitarbeiter und die Gesellschaft. Die Rolle eines Unternehmens als Kurator der Ressourcen für zukünftige Generationen wurde schon damals erwähnt. Schwab, Klaus: „Davos Manifesto 1973: A Code of Ethics for Business Leaders“, European Management Symposium (1973): https://widgets.weforum.org
  18. Warnstam Drolet, Stina; Elsner, Mark; Bunn, D. Isabella; Hasmath, Reza et al.: „The future of sustainability reporting standards“, Oxford Analytica, EY, (2021), S. 3: https://assets.ey.com
  19. Warnstam Drolet, Stina; Elsner, Mark; Bunn, D. Isabella; Hasmath, Reza et al.: „The future of sustainability reporting standards“, Oxford Analytica, EY, (2021), S. 9: https://assets.ey.com
  20. European Commission: „Corporate sustainability reporting“: https://ec.europa.eu
  21. Fink, Larry: „Larry Finks jährlicher Brief an CEOs“, BlackRock (2021): www.blackrock.com
  22. Quelle: Statista Research Department: https://de.statista.com