5. Technologiebedarf zukünftiger Wertschöpfung

5.1. Lange Zyklen und ihre Implikationen

Die Ergebnisse der Studie „Innovation in the long run: Perspectives on technological transitions in Sweden 1908–2016“1 deuten darauf hin, dass Innovationswellen vor allem in Zeiten von Investitionsrückgängen und Strukturkrisen in den 1930er-, 1970er- und 2010er-Jahren stattfanden. Eine genauere Untersuchung zeigt, dass der Einfluss der Krisensituation allein dieses Muster nicht erklären kann. Vielmehr lässt sich das Muster aus dem Zusammenspiel aus neu entstehender Infrastruktur und industrieller Rationalisierung erklären, die bei Ausbruch der Krise gemeinsam einen fruchtbaren Nährboden für bahnbrechende Innovationen bilden. Die Ergebnisse erlauben eine historische Interpretation langfristiger Übergänge in Form von Entwicklungsblöcken und drei industriellen Revolutionen, deren Zeitablauf Abbildung 1 demonstriert. Dies legt nahe, dass Infrastrukturen und Interaktionen zwischen soziotechnischen Systemen für derartige Entwicklungen eine entscheidende Rolle spielen. Breit angelegte technologische Übergänge erfolgen jedoch nicht automatisch: Theorie und historische Belege liefern überzeugende Argumente dafür, dass soziotechnische Übergänge langwierige Prozesse mit ungewissem Ausgang sind, die Investitionen, infrastrukturelle und soziopolitische Innovationen erfordern, um erfolgreich zu sein. Die Entwicklung treibt über einige Jahrzehnte den Aufbau einer grundlegenden Infrastruktur voran und führt zu einem großen Finanzrausch, gefolgt von dramatischen Zusammenbrüchen und Wendepunkten (zum Beispiel die Baring-Krise, die Große Depression und die Weltfinanzkrise 2008). Bei den Wendepunkten handelt es sich meist um Perioden des Experimentierens mit Technologie und Infrastruktur, die auf eine breitere Entfaltung in der Gesellschaft und ein „Goldenes Zeitalter“ (zum Beispiel die Zeit des Wirtschaftswunders) hinführen.

Kondratieff-Wellen zwischen Krisen und Innovationen
Abbildung 1: Kondratieff-Wellen in Anlehnung an Josef Taalbi2

Nach dem Modell der großen Wellen von Carlota Perez3 sieht die langfristige Entwicklung wie ein einziger technologischer Fortschritt aus. Dieser Fortschritt erfolgt jedoch in sich überschneidenden Schüben, wobei jeder Schub etwa 40 bis 60 Jahre dauert. Die Obergrenze der 5. großen Welle scheint jetzt für das Zeitalter der Informationstechnologie und Kommunikation erreicht zu sein. Die nächste große Welle beginnt mit einer Phase, die mit Wucht einsetzt und bei der sich neue Technologien geradezu explosionsartig ausbreiten. In dieser Phase, der Transformationsphase, erfolgt die Entwicklung der neuen Technologien extrem schnell und geht mit hohem Einsatz von finanziellen Mitteln einher. Dies geschieht in einer Welt, in der der Großteil der Wirtschaft aus alten, ausgereiften und im Niedergang befindlichen Industrien besteht, deren Abwicklung viel Geld kostet.

Laut Perez deutet vieles darauf hin, dass wir die letzte Phase der 5. großen Welle durchlaufen und uns in der Aufbauphase der 6. großen Welle befinden. Die Menschheit steht also am Wendepunkt eines soziotechnischen Übergangs, der umfangreiche Investitionen sowie infrastrukturelle und soziopolitische Innovationen erfordert. Einige Jahrzehnte erfolgt der Aufbau einer grundlegenden Infrastruktur, was zu einem großen Finanzrausch führt – gefolgt von wahrscheinlich dramatischen Zusammenbrüchen und Wendepunkten (auch Perez-Turning-Punkte genannt, Übergangsbereiche zwischen Installation und Deployment in Abbildung 1, oben). Im Hinblick auf die Kondratieff-Wellen nach Freeman und Louçã (2001) (siehe Abbildung 1, oben) befinden wir uns in einer Installationsphase und vor einem Marktabschwung. Die Analysen industrieller Revolutionen nach Schön (2010) und von Tunzelmann (2003) sowie von Strukturzyklen und großen Entwicklungsblöcken nach Schön (2010) deuten auf eine transformative Phase in der Industrie hin (siehe Abbildung 1, unten).

5.2. Die sechste Welle mit EI als Basisinnovation

Im folgenden Abschnitt geht es um eine 1996 erstmals veröffentlichte Methode von Leo und Simone Nefiodow, die Kondratieff-Zyklen und deren weitere Entwicklung detailliert beschreibt. Die Nefiodows postulieren, dass der 6. Kondratieff ein auf die menschliche Gesundheit, Individualität und Leistungsfähigkeit bezogener Zyklus ist. Um einen starken Aufschwung zu erreichen, muss aus ihrer Sicht insbesondere das Gesundheitswesen auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet und auf den Menschen als Ganzes ausgeweitet werden. Das bedeutet, dass erstmals in der menschlichen Geschichte nicht eine Maschine, ein chemischer Prozess oder eine Hardwaretechnologie im Mittelpunkt der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung steht, sondern der Mensch mit seinen körperlichen, geistigen, sozialen, ökologischen und spirituellen Bedürfnissen, Problemen und Potenzialen.4

Der Mensch steht im Zentrum des Interesses. Dieser Erkenntnis schließen sich auch die Autoren dieser Studie an. Die Begründungen dafür und die daraus folgenden Implikationen für die hier vorliegende Studie unterscheiden sich aber stark. Wer einen Kondratieff-Zyklus erkennen möchte, sollte auf fünf Ebenen nach ihm suchen:5

  • auf der technologischen Ebene (Kriterium 1);
  • auf der wirtschaftlichen Ebene (Kriterium 2);
  • auf der sozialen Ebene (Kriterium 3);
  • auf der zeitlichen Ebene (Kriterium 4).
  • Um den Übergang von einem Kondratieff-Zyklus zum nächsten zu erklären, führen Leo und Simone Nefiodow noch ein fünftes Kriterium ein. Dieses stellt Merkmale auf, die den Übergang prognostizieren sollen (Kriterium 5).

Die Methode von Leo und Simone Nefiodow kommt im weiteren Verlauf dieser Studie zum Einsatz. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die fünf im Anschluss erläuterten Kriterien von Leo und Simone Nefiodow auf einen Wendepunkt hindeuten. Das Entstehen einer digitalen Plattformökonomie stellt aus Projektsicht die zentrale ökonomische Basisinnovation des 21. Jahrhunderts dar. Sie ist gleichzeitig die Ursache für die revolutionäre Veränderung von Maschinen hin zu EI-Lösungen. Im Folgenden werden die Kriterien näher beleuchtet und in Zusammenhang mit Plattformökonomie und EI als Basisinnovation für den aufkommenden Zyklus gestellt. Die Autoren dieser Studie sehen diese Entwicklung als den entscheidenden Hebel, um das Ziel einer menschlichen Selbstverwirklichung zu erlangen. Damit sind die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit als ergänzend zu den Arbeiten von Leo und Simone Nefiodow zu sehen.

Kriterium 1 laut Leo und Simone Nefiodow: Innovationen, die einen Kondratieff-Zyklus auslösen und unterstützen können. Joseph Schumpeter unterscheidet diese Innovationen von anderen mit dem Begriff „Basisinnovationen“6. „Eine Basisinnovation unterscheidet sich von anderen Innovationen dadurch, dass sie den nächsten Kondratieff-Zyklus auslöst, der den Innovationsprozess für mehrere Jahrzehnte maßgeblich prägt“7, schreiben die Nefiodows. „Zudem schafft eine Basisinnovation einen großen neuen Markt und verändert die Gesellschaft umfassend.“

Aus Sicht der Autoren dieser Studie schaffen Unternehmen wie Amazon, Etsy, Facebook, Google, Salesforce und Uber online Infrastrukturen, die ein breites Spektrum an menschlichen Aktivitäten ermöglichen. Dies ebnet den Weg für radikale Veränderungen in der Art und Weise, wie wir arbeiten, Kontakte knüpfen, Werte in der Wirtschaft schaffen und um Gewinne konkurrieren. Die Auswirkungen dieser Veränderungen zeigen sich bereits. Sie führen am Ende zu einem völlig anderen Wirtschaftskonzept, das nach Einschätzung von Experten die nächsten 40 bis 60 Jahre dominieren könnte.

Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob diese Aussage auch für Dinge mit verkörperter Intelligenz gilt. Gemäß der vorliegenden Studie ist die verkörperte Intelligenz, neben den virtuellen Plattformen, die physische Manifestation der Plattformökonomie. Dinge mit verkörperter Intelligenz werden an der Seite von Menschen als potenzielle Nutzer in der Plattformökonomie auftreten. Daraus folgt, dass für den neuen Zyklus die Kombination aus virtuellen Cloud-Infrastrukturen und verkörperter Intelligenz die Basisinnovation darstellt. Es handelt sich um eine starke Integration und Synthese aus physikalischer und digitaler Welt. Die verkörperte Intelligenz stellt einen neuen Teil der tiefgreifenden Entwicklung dar. Damit überträgt sich die Dynamik der Digitalisierung auf die physikalische Welt.

Zu Kriterium 2 schreiben Leo und Simone Nefiodow: „Das zweite Kriterium bezieht sich auf die Wirtschaft und besteht darin, die führende Industrie und die Wertschöpfungskette zu identifizieren. Die Leitindustrie ist die Industrie, die sich dank der Basisinnovation neu entwickelt. Sie ist auch diejenige, die am meisten von der Basisinnovation profitiert, und sie wirkt für die Dauer des Kondratieff-Zyklus als Wachstumsmotor für die Gesamtwirtschaft.“8 Neue Märkte formieren sich in Wellen. Diese Wellen stehen in enger Verbindung zu grundsätzlichen menschlichen Bedürfnissen (siehe Abbildung 2).

Die neuen Märkte entwickeln sich in Wellen
Abbildung 2: Entwicklung des Marktvolumens für den Einsatz von Embodied Intelligence im Vergleich zur Biotechnologie (links). Marktanteile typischer Produktkategorien in den jeweiligen Entwicklungswellen zur Deckung menschen-zentrierter Bedürfnisse aus den Lebensweltbereichen.

Alle Lebensweltbereiche wurden schon im 5. Kondratieff-Zyklus wieder menschenzentrierter ausgerichtet, weil der Mensch als Endkunde und Akteur (Prosumer) immer mehr im Zentrum steht. Der Faktor Information gilt dabei als wichtigster Produktionsfaktor, da er die Innovationsprozesse dominiert. Aus der Informationswirtschaft und -gesellschaft entstand ein informations- und wissensbasiertes Wirtschaftswachstum. Dieser Kondratieff-Zyklus bringt zunehmend die Wertschöpfung zurück zum einzelnen Menschen. Die Autoren gehen davon aus, dass die Industrie der autonomen Elektrofahrzeuge, die als Leitindustrie für den 6. Kondratieff-Zyklus gilt, nicht nur neue Formen der Mobilität ermöglicht, sondern auch völlig neue Möglichkeiten für die Energiewirtschaft und Produktion schafft. Ein gutes Beispiel stellt die sogenannte „Giga Press“ bei der Firma Tesla dar. Hier ersetzen zwei neue Spritzgussmaschinen 600 Rohbauroboter. Dies bringt neben erheblichen Kosteneinsparungen auch viel kürzere Produktions- und Durchlaufzeiten und somit eine höhere Produktivität. Das führt dazu, dass andere Wettbewerber gezwungen sein werden, diese Produktionsmethoden zu übernehmen.

Der Leitindustrie stehen langsam wachsende Wirtschaftszweige mit relativ niedriger Produktivität gegenüber. Durch das rasche eigene Wachstum ist sie schon jetzt maßgeblich Träger des Strukturwandels und stellt außerdem eine wichtige Basis des Wachstums des Volkseinkommens dar. Es treffen somit die Definitionsmerkmale einer industriellen Leitindustrie zu.9

Zudem trägt die starke Kostendegression zu einem raschen Wachstum der Industrie sowie mittelfristig zu Koppelungseffekten bei:

  • Vorwärtskoppelung: Bereitstellung von Vorleistungen für gewerbliche Branchen in nachgelagerten Verarbeitungsstadien. Die Angebotsausweitung in der Leitindustrie führt dazu, dass diese Vorleistungen zu sinkenden Preisen erbracht werden können. Dies stimuliert das Wachstum in nachgelagerten Verarbeitungsstadien. Hier ist zu erwarten, dass neue Mobilitätsservices auf Basis von autonomen Elektrofahrzeugen starke Transformationskräfte für bestehende Mobilitätskonzepte auslösen werden.
  • Rückwärtskoppelung: Nachfrageeffekte auf Branchen in vorgelagerten Produktionsstadien. Das rasche Wachstum des Leitsektors impliziert eine steigende Nachfrage nach den von ihm benötigten Vorleistungen. Dadurch überträgt sich das Wachstum auf Branchen in vorgelagerten Verarbeitungsstadien. Hier ist insbesondere die starke Nachfrage nach Batterietechnologien zu nennen, welche ganz neue Möglichkeiten insbesondere für erneuerbare Energien und dezentrale Energiegewinnung bieten.

Mit der Entwicklung der Leitindus­­trie verändern sich auch die zukünftig von dieser genutzten Technologien (im Folgenden Basistechnologien genannt). Es handelt sich dabei um Technologien, die alle Wettbewerber beherrschen, weil sie inzwischen für alle oder die meisten Produkte der Branche elementar geworden sind. Ohne diese Technologien würde es die Branche in ihrer Form nicht geben. In den ersten Jahren des neuen Kondratieff-Zyklus werden die Basistechnologien eng mit dem Aufbau der neuen Infrastrukturen für die neue Leitindustrie beziehungsweise die Basisinnovation verknüpft sein. Dazu zählen: Cloud, Speichertechnologien (aktuell hauptsächlich Batterien), künstliche allgemeine Intelligenz, E-Motoren, Satellitenkommunikation und Fotovoltaik.

Kriterium 3 nach Leo und Simone Nefiodow: „Das dritte Kriterium bezieht sich auf die Gesellschaft. Die Wertschöpfungskette, die durch die Basisinnovationen entsteht, führt zu einer weitreichenden Umgestaltung der Gesellschaft. Die Einhaltung dieses Kriteriums lässt sich überprüfen, indem die Durchdringung von Basisinnovationen in der Gesellschaft ermittelt wird. Dank der Basisinnovationen entsteht eine völlig neue Infrastruktur.“10

Die weitreichende Umgestaltung wurde bereits in Kriterium 1 und Kriterium 2 andiskutiert. Tesla, der Pionier der Leitindustrie, argumentiert11, dass moderne Fahrzeuge (auch die von Tesla) im Wesentlichen „Computer auf Rädern“ sind, die über eine eingeschränkte Kommunikationsanbindung verfügen. Derzeit sind vernetzte Fahrzeuge auf Mobilfunknetze angewiesen, um Daten zu senden und zu empfangen. Die Einführung der 5G-Technologie könnte zwar die Latenzzeit verringern, aber Mobilfunkverbindungen sind in der Regel nicht flächendeckend verfügbar. Für selbstfahrende Fahrzeuge, die flächendeckende Datenverbindungen benötigen, stellt dies ein Problem dar. Tesla möchte die Fahrzeuge in Zukunft mit Satellitenempfängern von SpaceX ausstatten, um eine weltweite Anbindung zu gewährleisten. Diese Verbindungen sollen weltweit verfügbar und hochgradig sicher sein, um Hackerangriffe zu verhindern. Die Nutzung dieser völlig neuen Infrastruktur ist ein fester Bestandteil der Wachstumsstrategie der Firma Tesla und stellt auch einen enormen Wettbewerbsvorteil gegenüber etablierten Automobilfirmen dar.

Die Kombination dieser neuen Kommunikationsinfrastruktur mit einer dezentralen Form der Gewinnung elektrischer Energie – etwa basierend auf Fotovoltaik – führt zu einer weitgehenden Standortunabhängigkeit und damit zu einem hohen Maß an Autarkie. Noch mehr Autarkie entsteht durch die Kombination mit weiteren potenziellen Basistechnologien, beispielsweise die Gewinnung von Wasserstoff mithilfe dezentral erzeugten elektrischen Stroms oder die Umwandlung von Wasserstoff in Gase wie Methan. Methangase dienen als Basis für die dezentrale Erzeugung von Grundstoffen, die dann etwa per 3D-Druck die Ausgangsmaterialien für die Herstellung von Produkten bilden können. Diese Steigerung der Autarkie hat das Potenzial, dem einzelnen Menschen eine neue Qualität von Freiheit zu ermöglichen. Es findet eine zunehmende Umkehr der Wertschöpfungsprozesse statt.

Ein Beispiel einer solchen Umkehr ist der in Kalifornien verfolgte Ansatz eines virtuellen Kraftwerks. Hierbei werden lokale Netzbetreiber bei der Stabilisierung des Stromnetzes unterstützt. Endkonsumenten helfen mit, ein dezentrales Batteriesystem aufzubauen, was die Abhängigkeit von Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen minimiert. Tesla Virtual Power Plant (VPP) nutzt die dezentralen Batteriespeicher der Endkunden, um die Netzstabilität und auch die Energiesicherheit beim Endnutzer zu gewährleisten. Seit Beginn ist Teslas VPP ein gemeinnütziges Projekt zur Unterstützung des kalifornischen Stromnetzes. Es erfolgt keine Vergütung für Tesla oder die Kunden, wobei Letztere in Zukunft auf Einnahmen hoffen können. Kunden sollen an dem Projekt teilnehmen und die überschüssige Kapazität ihrer Powerwall-Systeme zur Verfügung stellen.12 In diesem Zusammenhang wird die starke Bedeutung der neuen physischen Infrastrukturen, in diesem Fall dezentraler Solaranlagen und dezentraler Batteriesysteme, unmittelbar evident.

Der neue Kondratieff-Zyklus verursacht einen kompletten Wandel in den ökonomischen Abläufen. Eine eher zentral organisierte Industriestruktur, in der die Flussrichtung von der Industrie zu den Konsumenten erfolgt, wird zunehmend durch Wertschöpfungsströme abgelöst, die von Nutzern ausgehen und über plattformökonomische Infrastrukturen die Industrie erreichen. Diesen Ablauf stellt die folgende Abbildung 3 dar:

Umkehr der Wertschöpfungsketten
Abbildung 3: Umkehr der Wertschöpfungsketten

Kriterium 4 nach Leo und Simone Nefiodow: „Das vierte Kriterium bezieht sich auf den Lebenszyklus. Die Basisinnovation und ihre Leitbranche weisen einen durchschnittlichen Lebenszyklus von 40 bis 60 Jahren auf. Der Innovationslebenszyklus lässt sich als S-Kurve beschreiben. Die S-Kurve wird ermittelt, indem beispielsweise der Fortschritt bei der Umsetzung der Basisinnovation (zum Beispiel die Zahl der zugelassenen Autos in einem Land) oder die Wertschöpfung der Informationstechnologiebranche kumuliert und im Zeitverlauf dargestellt wird. Dabei weisen die Basisinnovationen und Leitindustrien typischerweise ein überdurchschnittliches Wachstum auf.“13

Betrachtet man die Zeit- und Entwicklungshorizonte für Technologien, um die erläuterte Transformation und damit den Aufbau derartiger Kommunikationsinfrastrukturen umzusetzen, kommt beispielsweise 6G in rund zehn Jahren ins Spiel. Mit flächendeckenden Auswirkungen dieser Technologie auf die Märkte rechnen Experten ab den späten 2030er-Jahren. Auch im Energiebereich wird die Transformation zu einer dezentralen und flächendeckenden Stromversorgung mit Blick auf effizientere Fotovoltaik und Speichertechnologien einhergehen – mit einem Ausbau sowohl der Übertragungs- als auch der Verteilungsnetze. Wie wissenschaftliche Untersuchungen verdeutlichen, wird bis 2050 noch einmal so viel Netzausbau zusätzlich erforderlich sein, wie heute im Netzentwicklungsplan bis 2030 vorgesehen ist.14

Diese Beispiele zeigen, dass der Aufbau entsprechender Infrastrukturen 10 bis 30 Jahre dauert. Dieser Zeitraum entspricht etwa der Hälfte eines durchschnittlichen Kondratieff-Zyklus. Auch Kriterium 4 lässt sich auf Basis dieser Entwicklungen nicht abschließend bewerten. Die Marktzahlen zeigen jedoch ein sehr starkes Wachstum in den nächsten 20 Jahren, wie es für eine langfristige S-Kurven-Ausprägung meist der Fall ist.

Kriterium 5 nach Leo und Simone Nefiodow: „Am Ende eines Kondratieff-Zyklus ist das zugrunde liegende Wachstumsmuster weitgehend erschöpft. Bevor die Wirkung neuer Basisinnovationen einsetzt, müssen zunächst die primären Wachstumsbarrieren dazu dienen, der weiteren Entwicklung eines Kondratieff-Zyklus entgegenzustehen. Denn von allen potenziellen Innovationen können nur diejenigen als Basisinnovationen eingestuft werden, welche die Barrieren am stärksten abbauen. Diese Barrieren können das Festhalten an überholten Konzepten, mangelnde Innovationsbereitschaft, Angst vor der Zukunft, fehlende Infrastruktur usw. sein.“15

Dabei stehen meist gewachsene Strukturen und veraltete Prozesse auf Angebotsseite steigenden und sich verändernden Bedürfnissen auf Nachfrageseite und neuartigen technischen Möglichkeiten gegenüber. Folglich können diese Bedürfnisse nicht mehr zufriedengestellt werden. Die meisten Unternehmen halten dennoch weiterhin an klassischen Vorgehensweisen fest, die die bestehenden Wachstumsbarrieren nicht hinreichend abbauen. Damit gefährden sie bei Einsetzen des neuen Zyklus ihren wirtschaftlichen Erfolg. In diesem Zusammenhang wird die starke Bedeutung der staatlichen Aufgabe, durch neue physische Infrastrukturen in Kombination mit plattformökonomischen Ansätzen Schranken aufzubrechen, unmittelbar evident.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass viele Zusammenhänge darauf hindeuten, dass verkörperte Intelligenz als Element der Plattformökonomie eine wichtige Rolle als Basisinnovation spielen wird. So lassen sich aus den zuvor beschriebenen Ebenen entscheidende Schlüsse für diese Studie ziehen:

  • Das erste Kriterium betrachtet die grundlegenden technischen Gesichtspunkte. Einerseits tritt die Plattformökonomie als eines der wesentlichen Innovationselemente des nächsten Konjunkturzyklus hervor. Maßgebliche Grundlagen hierfür sind bereits heute in Form neu aufkommender Cloud-Infrastrukturen verfügbar. Andererseits entstehen auf Basis von Plattformökosystemen grundlegend neuartige EI-Systeme. Diese gehen aus der Weiterentwicklung der bestehenden KI- und ML-Technologien hervor.

  • Die Durchdringung der Wirtschaft durch die Basisinnovationen der technologischen Ebene führt zu einer Umkehrung der Wertschöpfungsketten. Dabei werden vor allem Zwischenschritte innerhalb dieser Ketten gebündelt und verschoben, sodass ein Großteil der Wertschöpfung dezentral erfolgt, also auf Anwenderebene. Daraus folgt eine gesteigerte Effizienz, da sich mit weniger Ressourcen mindestens das gleiche wirtschaftliche Ergebnis erzielen lässt. Das wirkt sich auf die gesellschaftliche Ebene (Kriterium 3) aus, es kommt zu mehr Autarkie. Dadurch steigt das gesellschaftliche Gesamtwohlbefinden. Mit dem Lebenszyklus der notwendigen Infrastrukturen für einen Kondratieff-Zyklus beschäftigt sich das vierte Kriterium, die Einführung neuer Elemente nimmt circa 20 bis 30 Jahre in Anspruch. Nach maximal weiteren 40 Jahren steht auch das Ende des 6. Kondratieff-Zyklus bevor. Beim Abschätzen des zeitlichen Horizonts eines Zyklus ist es essenziell, den neuen Anforderungen schnell zu folgen, um sich an dessen Spitze zu bewegen.

  • Sobald man an der Spitze der Innovationsbewegung steht, gilt es, eigene Akzente zu setzen, und zwar auf breiter Ebene, um den größtmöglichen Vorteil für den eigenen Wirtschaftsraum zu generieren. Die zweite Phase, die Realisierungsphase, ist hingegen als Optimierungsabschnitt zu betrachten (vgl. Abbildung 1). Hier entwickeln und verfeinern sich die neuen Systeme, bis sie an die jeweiligen systemischen Grenzen (technisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich) stoßen. In diesem Zeitraum sollte der anknüpfende Zyklus unter die Lupe genommen werden, um das Fortbestehen über alle genannten Bereiche hinweg zu garantieren.

  • Das fünfte Kriterium beschreibt systemische und strukturelle Grenzen, die dazu dienen, Kondratieff-Zyklen voneinander abzugrenzen. Das ermöglicht auch Voraussagen über neue Zyklen. Der Sinn dieses Kriteriums besteht jedoch nicht darin, die beschriebenen Werkzeuge zur Prädiktion einzusetzen, sondern vielmehr darin, bestehende Barrieren zu identifizieren und im Nachgang aufzulösen. Erst so gelingt es, die Weichen für den kommenden Wirtschaftszyklus erfolgreich zu stellen.

Die für die Entwicklung der Leitindustrie relevanten Basisinnovationen sowie die für ihre Umsetzung verwendeten Basistechnologien fließen im Lauf der Zeit auch in andere Bereiche ein und verändern diese grundlegend. Als Beispiel dient im Folgenden die Entwicklung der smarten Städte.

5.3. Smarte Städte als Treiber der Basisinnovationen

Moderne Städte setzen zum Nutzen ihrer Bürger fortschrittliche Technologien und Konzepte in einem ungewöhnlich hohen Ausmaß ein. Der Ursprungsgedanke war, dass sich smarte Städte vor allem auf die Informationstechnologie konzentrieren. Sensoren und intelligente Systeme, die mit anderen Systemen zusammenwirken, ohne dass der Mensch explizit beteiligt ist (Internet der Dinge), sind in smarten Städten allgegenwärtig. Man denke an Begriffe wie die „intelligente Stadt“, die mittels künstlicher Intelligenz oder neuronaler Netze das Zusammenspiel der unterschiedlichen Infrastrukturen orchestriert und an den Bedarf der Nutzer anpasst. Derartige Elemente bringen viel, stoßen aber schnell auf Probleme wie Datenschutz, Personenüberwachung und Cyberkriminalität. Angesichts des öffentlichen Widerstands musste beispielsweise Las Vegas seine Straßenkameras entfernen und Facebook gab seine Smart-City-Aktivitäten auf. Die Informations- und Computertechnologie (IKT) ermöglicht die Aktivitäten, ist aber nicht die zentrale Zielsetzung.16 Heute entscheiden über das Wohlergehen einer intelligenten Stadt folgende Anforderungen:

  • Bequemlichkeit
  • Effizienz
  • Gesundheit
  • Zuverlässigkeit
  • Sicherheit
  • Erschwinglichkeit
  • Integration
  • Emissionsfreiheit
  • Freizeitgestaltung
  • Hundertprozentige Elektrifizierung
  • Schnellerer, multimodaler Verkehr
  • Geeignete Lage und Gestaltung der Stadt
  • Unabhängigkeit von einer externen Wasser-, Lebensmittel- und Energieversorgung

Die Vereinfachung der Leistungen für den Bürger durch die neuen intelligenten Stadtsysteme führt dazu, dass viele überkommene Dienstleistungen abgeschafft oder stark reduziert werden können. Stadtbasierte Systeme machen viele von außen importierte Dienstleistungen der Städte überflüssig und verlagern die Bereitstellung in die Städte. So können beispielsweise durch die Herstellung von Fleisch und Milch mittels Zellkulturen in städtischen Laboren Bauernhöfe auf dem Land verschwinden. Vorrichtungen zur Erzeugung von Solar-, Wind- und Wasserkraft in den Städten reduzieren die Bedeutung weit entfernter Kraftwerke und deren Anbindung über Stromnetze. Der Abbau von Kohle, Öl und Gas und die damit verbundenen langen Transportwege werden minimiert. Städte verbrauchen somit bei ihrem Wachstum weniger Land im Umland. All dies bedeutet, dass der Markt für alles – von Sensoren über Fahrzeuge bis hin zu Lebensmitteln und Energieerzeugung – in den Städten mehr und mehr wächst.

Zu den wichtigsten technologischen Themen für den Umbau der Städte zählen laut IDTechEX17:

  • Transport und Mobilität
  • Elektrizitätserzeugung
  • Intelligente Werkstoffe und Produktion
  • Neue IKT und sensorische Systeme
  • Lebensmittelproduktion und Wasseraufbereitung (von geringerer Bedeutung für diese Studie)

Immer mehr Städte und Länder streben einen emissionsfreien Verkehr an und setzen auf Elektroroller, Fahrräder und elektrische Motorräder trotz Unfallgefahren. Städte beginnen damit, Fahrten mit privaten Autos stark einzuschränken oder gar zu verbieten. Auch Elektroautos sind davon betroffen, da deren Reifenabrieb, ebenso wie bei konventionellen Fahrzeugen, die Umwelt verschmutzt. Deshalb rücken intensiv genutzte Sharingfahrzeuge in den Fokus, etwa Roboterautos und -taxis. Da private Autobesitzer ihre Wagen oft nur zu fünf Prozent der Zeit nutzen, könnten sie diese Standzeit wirtschaftlich nutzen und die Wagen für die restliche Zeit an Betreiber verleihen. Autos, Boote und Flugzeuge können in Zukunft solarunterstützt fahren oder fliegen. Einige Verkehrsmittel erreichen durch Solarenergie eine solche Unabhängigkeit, dass sie nie wieder an die Steckdose müssen – vermutlich machen sogar durchgängige Ladevorgänge und Solarenergie die Ladestationen am Straßenrand überflüssig.

Emissionsfreie Stromerzeugung geschieht in immer größerem Umfang netzunabhängig oder am Rande des Stromnetzes. Große Windturbinen und Fotovoltaikanlagen entstehen zunehmend dort, wo der Strom benötigt wird, an Fenstern, Fassaden, Einfahrten, Plätzen, Straßen, Fahrzeugen und tragbaren Geräten. Neue Verkehrsmittel (intelligente Shuttles und Roboterautos in Ergänzung zu U-Bahnen) übernehmen hauptsächlich Transportaufgaben.

Neue Funktionen ermöglichen intelligenten Mehrzweckgebäuden mehr Autarkie, indem sie beispielsweise ihre eigene Abwasserentsorgung betreiben. Multifunktionale Materialien für viele Zwecke (einschließlich intelligenter Straßen, Autokarosserien oder Bausubstanz) kommen immer häufiger zum Einsatz. IKT und Sensornetzwerke werden in allen Arten von Bauwerken allgegenwärtig und stärker in vorgefertigte Bauelemente oder intelligente Baumaterialien integriert sein.18 Anbieter von Werkstoffen mit hohem funktionalem Mehrwert werden sich zunehmend auf die neuen Smart Citys konzentrieren, weil sie hier ein starkes Marktwachstum erwarten. Die lukrativsten Möglichkeiten eröffnen sich insbesondere bei elektronischen, elektrischen und multifunktionalen Materialien.19

Technologiefelder

Die Leitindustrie für Embodied Intelligence in Form von landgebundenen autonomen Fahrzeugen wird alle auch für Smart Citys wichtigen Technologiefelder stark nachfragen. Bis 2030 stehen dabei vorrangig diese im Fokus:

  • Halbleiterbauelemente
  • Software (KI, Datenzentrierung, Kommunikation, smarte Schnittstellen)
  • Plattformtechnologien
  • Energiespeicherung
  • Elektromotoren
  • Fotovoltaik
  • Fortgeschrittene Materialien mit elektronischen Eigenschaften

Ab 2040 kommen noch folgende Felder hinzu:

  • Quantentechnologien
  • 3D- und 4D-Druck

Bis 2030 wird insbesondere die Elektrizitätserzeugung und -speicherung viele technologische Neuerungen weitgehend übernehmen. Intelligente Werkstoffe und völlig neue IKT-Technologien setzen ab 2030 starke Wachstumsimpulse.

Als zentrales übergreifendes technisches Thema bei den neuen physikalischen Plattformen stellt sich die Integration der unterschiedlichen Technologiefelder und Funktionalitäten in Form der Hochintegration (siehe Kapitel 4) heraus. Von den Vorteilen dieser Integration profitieren zunächst die Produkte der Leitindustrie, also autonome Fahrzeuge an Land. Nachdem die Technologien dadurch weitverbreitet und günstig geworden sind, greifen andere Anwendungsfelder wie Smart Citys oder die Robotik die Entwicklungen der Leitindustrie auf.

Bei den für diese Anwendungen ebenfalls wichtigen virtuellen Infrastrukturen geht es neben der Implementierung des plattformökonomischen Ansatzes um die Etablierung wichtiger Infrastrukturfunktionen. Hier möchte das Projekt Gaia-X erste Impulse setzen. Dabei handelt es sich um ein europäisches Projekt zur Schaffung von Designprinzipien für internationale Cloud- und digitale Plattform-Ökosysteme. Die Initiative hat es sich zum Ziel gesetzt, ein offenes, transparentes und sicheres digitales Ökosystem zu erschaffen, in dem Daten und Dienste in einer von Vertrauen geprägten Umgebung zur Verfügung gestellt und geteilt werden können.

5.4. Architektur virtueller Infrastrukturen

Digitale Technologien sind grundlegender Bestandteil der digitalen Transformation. Dieser Abschnitt befasst sich mit denjenigen Technologien, die ein Unternehmen auf dem Weg zur digitalen Transformation berücksichtigen und beherrschen muss, um eigene plattformbasierte Ökosysteme zu etablieren. Die Autoren gehen hierbei nicht davon aus, dass jedes kleine oder mittelständische Unternehmen seine eigene digitale Infrastruktur aufbauen muss. Dennoch sollten auch diese Firmen die Technologien und Prinzipien dahinter und damit deren Potenziale kennen.

Technologien für virtuelle Infrastrukturen
Abbildung 4: Digitale Technologien im Rahmen der digitalen Transformation20

Cloud-Plattformen gelten aktuell als fester Bestandteil der digitalen Transformation – eine Revolution, die für Unternehmen zum Pflichtprogramm zählt. Immer mehr Firmen erkennen dies und verlagern ihre Daten in die Cloud. Sie setzen ausgereifte Cloud-Strategien um, die umfassende Cloud-Management-Lösungen erfordern. Sie benötigen eine Lösung, die den Umfang und die Komplexität der erweiterten Integration und Orchestrierung bewältigen kann.

Eine immer wichtigere Rolle spielen die sogenannten Hyper-Hybrid-Clouds, die Unternehmen neue betriebliche Wege eröffnen. Bei einer Hyper-Hybrid-Cloud handelt es sich um eine komplexe Umgebung, die mehrere unterschiedliche, miteinander verbundene öffentliche und private Clouds umfasst, oft von mehreren Anbietern.21 Die Hyper-Hybrid-Cloud stellt die Unternehmens-IT vor zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf Konnektivität, Interoperabilität, Verwaltung und Sicherheit. Die Hyper-Hybrid-Cloud nutzt sowohl die private Cloud vor Ort als auch die öffentlichen Cloud-Ressourcen von Drittanbietern. Sie bildet sozusagen ein zwischengeschaltetes Leitungssystem zwischen privaten und öffentlichen Clouds mit größerer Flexibilität – je nach Bedarf und Kostenänderungen des Unternehmens. Sie bietet auch Virtualisierung und Virtualisierungs-Softwaremanagement, sodass Firmen ihre Hardware-Assets leicht visualisieren und in eine private oder öffentliche Cloud verschieben können. Deshalb steigen viele Branchen auf die Hyper-Hybrid-Cloud um, anstatt sich nur an einen privaten oder öffentlichen Anbieter zu binden.

In einem Multi-Cloud-Szenario könnte ein Unternehmen den Simple Storage Service (S3) von Amazon Web Services (AWS) für die Datenspeicherung, Rackspace OnMetal für Cloud-Datenbanken, Google für Big-Data-Systeme und eine OpenStack-Private-Cloud für sensible Daten und Anwendungen vor Ort nutzen.

Folgende Dienste können Unternehmen bei der Bewältigung der Herausforderungen der Hyper-Hybrid-Cloud unterstützen:22

  • Integrationsplattform als Service (iPaaS): Eine Reihe von cloudbasierten Tools, mit denen Softwareentwickler Anwendungen und Dienste bereitstellen, verwalten, steuern und integrieren können.
  • Cloud-Integrationsplattform: Ein Produkt, das die Integration der (nicht cloudbasierten) Ressourcen eines Unternehmens mit cloudbasierten Ressourcen erleichtert.
  • Cloud-Broker: Eine dritte Person oder eine dritte Firma, die als Vermittler zwischen dem Käufer eines Cloud-Computing-Dienstes und den Verkäufern dieses Angebots fungiert.
  • Cloud-Aggregator: Eine Art von Cloud-Broker, der mehrere Cloud-Computing-Dienste zu einem oder mehreren zusammengesetzten Service(s) bündelt und integriert.
  • Cloud-Verbund: Die Praxis, die Cloud-Umgebungen von Dienstanbietern miteinander zu verbinden, um den Datenverkehr auszugleichen und Nachfragespitzen aufzufangen.

Künstliche Intelligenz (KI) in Verbindung mit Cloud-Technologien eröffnet neue Möglichkeiten für Unternehmen und Verbraucher. Dies ist ein wichtiger Teil für die größere Vision einer intelligenten Infrastruktur. In dem Maße, wie Bürger und Betriebe mehr digitale Inhalte nutzen und zunehmend auf digitale Informationsquellen und Dienstleistungen angewiesen sind, passen sich auch die Regierungen an die Veränderungen der digitalen Nutzungs- und Konsummuster an. Viele Regierungen haben beispielsweise erkannt, wie wichtig online verfügbare Bürgerdienste sind, deshalb arbeiten sie an den E-Government-Bemühungen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für diesen Wandel ist die Cloud-Computing-Technologie, die einen allgegenwärtigen, bequemen und bedarfsgerechten Netzzugang zu einem gemeinsamen Pool konfigurierbarer Rechenressourcen ermöglicht. Mit Cloud-Computing gelingt es, digitale Behördendienste flexibler, schneller und kostengünstiger zu erbringen.

Ein Kurswechsel und die Einführung eines neuen Paradigmas für die Infrastruktur der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) sind jedoch mit negativen Assoziationen verbunden. Über Jahrzehnte hinweg haben die Regierungen viel in Rechenzentren vor Ort und die dazugehörige technische Architektur (Server, Kühlsysteme, Hardware- und Software-Upgrades) sowie in den Betrieb und die Wartung von Hard- und Software investiert. Es wird Widerstände gegen die Umstellung auf Cloud-Computing geben. Ein Argument könnte lauten: Die Investitionen in die Infrastruktur haben noch nicht ihr buchhalterisches Lebensende erreicht, da ein Buchhaltungssystem solche Kapitalkosten über einen bestimmten Zeitraum abschreibt. Oder: Das Personal ist noch nicht für die Umstellung auf ein neues System bereit – der Personalbestand muss erst neu organisiert und/oder umgeschult werden. Dies kann die Neugestaltung von Datenbanksystemen, die Einführung von technischen Interoperabilitätsrichtlinien, die Entwicklung von Cloud-Governance-Mechanismen und die Anpassung der Beschaffungspolitik des öffentlichen Sektors behindern. Möglicherweise erfordert die Umsetzung auch Gesetzesänderungen.23

Wie in Abbildung 5 dargestellt, bilden Vertrauen, Datenhoheit und die Einhaltung von Regeln den Kern im Gaia-X-Architekturmodell. Unternehmen und Bürger sammeln und teilen Daten so, dass sie die Kontrolle behalten. Die jeweiligen Dateneigentümer entscheiden, was mit ihren Daten geschieht, wo sie gespeichert und wofür diese verwendet werden. Mit einer solchen Infrastruktur können nicht nur die bisherigen digitalen Geschäftsmodelle, sondern auch eine datenbasierte Wertschöpfung umgesetzt werden. Das Projekt zum Sovereign Cloud Stack24 schiebt erste Ansätze für den technologischen Unterbau an, um auch die Anbieter von Hardwareinfrastrukturen miteinzubeziehen. Gerade diese Hardwareinfrastrukturen spielen für die Umsetzung der gesetzten Ziele in puncto Vertrauen, Datenhoheit und Einhaltung von Regeln eine essenzielle Rolle.

Gaia-X Ökosystem
Abbildung 5: Struktur des Gaia-X-Ökosystems 25 26. Oben: Datenökosystem aus Daten und Möglichkeiten zur Verarbeitung, Analyse etc; Unten: Infrastrukturökosystem aus Hardware und Softwarestack; Mitte: Kernelemente der Gaia-X-Designprinzipien

Das Projekt NaLamKI27 baut beispielsweise Drohnen zur Erkennung von Schädlingen, zur optimalen Düngung und Bewässerung sowie zur Analyse des Pflanzenwachstums. Es handelt sich also um ein Projekt, das sich auf die Entwicklung eines physischen Plattformsystems konzentriert und verschiedene Eigenschaften und Aufgaben in einem „intelligenten Ding“ vereint. Im Gegensatz zum Aufbau einer physischen Plattform steckt hinter dem Projekt Catena-X28 eine Initiative für eine Cloud-Plattform, die Datenplattformen für den gesamten Lieferkettenprozess schafft und verschiedene Anwendungsfälle in der Automobilindustrie analysiert. Ein weiteres Projekt, das sich auf Internetplattformen konzentriert, ist Agri-GAIA29, eine B2B-Plattform für die Entwicklung, den Vertrieb und die Nutzung von KI-basierten Lösungen im Agrarbereich. Ziel dieses Projekts ist es, KI-Anwendungsfälle innerhalb der gesamten landwirtschaftlichen Produktionskette zu testen. Dieses Vorhaben zeigt, dass die virtuellen Infrastrukturen im Vordergrund stehen, die die Daten und Informationen von mehr oder weniger intelligenten Geräten und Sensoren nach dem Internet-der-Dinge-Prinzip sammeln und verarbeiten.

Der Grundgedanke zum Aufbau einer eigenen virtuellen Infrastruktur hinter GaiaX ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch die Aspekte des Datenschutzes, der Datensicherheit und nicht zuletzt der Datenhoheit sind wichtige Kernelemente und ermöglichen eine Abgrenzung aktuell eingesetzter Architekturen. Allerdings kann schon das Schaubild als Versuch gelten, die Automatisierungspyramide mit der Cloud- und Servicewelt zusammenzuführen. Auch ist deutlich, dass der Fokus auf Daten liegt, die über permanente Kommunikationsverbindungen von der Infrastruktur, also vorrangig Produktionsanlagen und andere Datenquellen, einem Datenökosystem zur Verfügung gestellt werden sollen. Dieser Ansatz ist für die Kombination aus Plattformökonomie mit EI-Systemen nicht zielführend und wird eine Herausforderung für deren Integration. Vielmehr müsste die Architektur auf der Infrastrukturebene EI-Systeme, die Daten selbst verarbeiten und Informationen und Dienste bedarfsorientiert und nicht permanent austauschen, nutzen und bereitstellen. Es muss also eine lose Kopplung, wie auch mit den anderen Nutzern des Ökosystems, etabliert werden. Ein Ansatz, der insbesondere in den folgenden Aktivitäten, wie etwa der Cloud-IPCEI30, beachtet werden sollte, ist in Abbildung 6 dargestellt.

Gaia-X Ökosystem mit Embodies Intelligence
Abbildung 6: Möglicher Strukturwandel von einem datenbasierten zu einem wissensbasierten Gaia-X-Ökosystems unter Berücksichtigung von Embodied Intelligence

Festzuhalten ist, dass Kompetenzen im Bereich Cloud-Computing erforderlich sind, um auf bestehenden Hardwarekomponenten eigene virtuelle Infrastrukturen für Plattformökosysteme aufzubauen. Auch die Bereiche der Datenhoheit und Sicherheit zählen dabei zu den relevanten Themengebieten für die Umsetzung der Prinzipien und Richtlinien. Damit die Bestrebungen beim Aufbau eigener Infrastrukturen nicht in Nischenlösungen ohne Interoperabilität enden, bietet sich die Nutzung bereits vorhandener Angebote an: Je nach individuellen Anforderungen und Kenntnissen kommen Infrastructure as a Service (IaaS), Platform as a Service (PaaS) oder Software as a Service (SaaS) infrage.

Diese virtuellen Infrastrukturen bilden die technologische Basis für die bereits im vorigen Kapitel beschriebenen Plattformökosysteme. Allerdings konzentrieren sich die bisherigen Ökosysteme auf den Menschen und nicht auf Maschinen als Nutzer. Zwar existieren die zugrunde liegenden Schnittstellen, aber die aktuellen Mechanismen und Oberflächen für die Funktionen und Angebote eignen sich bisher nicht für die Nutzung durch EI-Systeme. Die Architektur derartiger EI-Systeme und die dafür erforderlichen Technologiefelder beleuchtet der nächste Abschnitt.

5.5. Architektur physischer EI-Systeme

Neben den virtuellen Infrastrukturen werden auch die physischen Infrastrukturen in Form von hochintegrierten Geräten zunehmend von künstlicher Intelligenz durchdrungen. Gerade die künftigen physischen Infrastrukturen entwickeln sich nach Ansicht der Autoren als Ausprägungen von Embodied Intelligence, wobei es unterschiedliche Themenschwerpunkte und Charakteristiken gibt. Diese Gebiete sind Inhalte aktueller Forschung und konstituierend, um die Umsetzung der anvisierten physischen Infrastrukturen – sowohl einzeln als auch im Kollektiv – zu realisieren.

Themenschwerpunkte für EI/KI-Systeme:

  • Kognitive Systeme – sind so konzipiert, dass sie die geistige Handlung oder den Prozess der Aneignung von Wissen durch Erfahrung und die Sinne ausführen und technisch umsetzen.31
  • Absichtsgesteuerte Systeme – sollen relevante Absichten erfassen und entsprechend handeln.32
  • Föderierte Systeme – bestehen aus interagierenden Akteuren, die zusammenarbeiten (sowohl Maschinen als auch Menschen), um eine gemeinsame Aufgabe durch die gegenseitige Bereitstellung von Aktionen zu erreichen, die einzelne Systeme allein nicht erzielen können.33 34
  • Autonome Systeme – sind selbstgesteuerte Systeme für begrenzte Zeiträume und Ziele, etwa ferngesteuerte Flugsysteme, unbemannte Unterwasserfahrzeuge und fahrerlose U-Bahnen in kontrollierten städtischen Umgebungen.
  • Selbstlernende Systeme – erweitern autonom ihre Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, ihre Situationsdarstellung und Interpretation der wahrgenommenen Welt, ihre Handlungen und ihre Kooperationsmuster. Sie können diese erlernten Fähigkeiten mit anderen Systemen teilen.35

Aus technischer Sicht und im Hinblick auf die Definition von EI (siehe Kapitel 4, kognitiver Zyklus) subsumiert EI verschiedene Architekturcharakteristiken. Für die Realisierung von EI im Sinne einer physischen Infrastruktur, die auch mit den Anforderungen der Systemarchitekturen klarkommt, sind die folgenden, auf verschiedenen technologischen Bausteinen basierenden Komponenten von Bedeutung:

  • physischer Körper
  • technisches Nervensystem
  • künstliche Gehirnfunktion

Physischer Körper

Die jeweiligen Komponenten erfüllen bestimmte Aufgaben und Fähigkeiten durch den Einsatz entsprechender Technologien. Die wesentliche Aufgabe des physischen Körpers liegt in der Durchführung von Handlungen einschließlich der Erfassung von Informationen. Er orientiert sich technologisch an der Robotik.

Sensorik:

Propriozeptive Sensoren erfassen unter anderem die Position, Orientierung und Geschwindigkeit. Dies erfolgt durch Ableitung aus den Rohdaten von Beschleunigungs- und Geschwindigkeitsmessern sowie Neigungs- und Positionssensoren. Taktile Sensoren oder Tastsensoren liefern Informationen über Drehmomente und Kräfte. Visuelle Sensoren in Form von Kameras, Laser und Infrarottechnik erfassen Bilder und Tiefeninformationen in unterschiedlichen Spektren, wodurch sie das menschliche Auge übertreffen. Akustische Sensoren verarbeiten Umweltgeräusche oder Sprache. Es existieren also bereits zahlreiche Basistechnologien, die Umgebungsinformationen verarbeiten.

Aktorik:

Die Bewegung, das Handeln und Interagieren in und mit der Umwelt kann auf unterschiedlicher technologischer Basis erfolgen. Je nach Leistungs-, Platz- und Präzisionsbedarf kommen elektrische, hydraulische oder pneumatische Aktoren zum Einsatz. Allerdings existieren für die Ausführung von Bewegungen auch Optionen, die auf elektro- oder thermoaktiven Materialien beruhen. Auch das Gebiet der Nanotechnologie birgt großes Potenzial für die künftige Motorik.36 Fortbewegung im Sinne der Mobilität des physischen Körpers gelingt – je nach Einsatzgebiet – auf verschiedene Arten: Gehen, Fahren, Fliegen, Schwimmen oder Schlängeln.

Zu den wesentlichen Bestandteilen eines derartigen Körpers zählt die Energiegewinnung und -speicherung, egal ob Fahrzeug, Gebäude, Fluggerät oder Satellit. Je nach Größe können diese EI-Systeme beispielsweise mit elektrischen Speichern bestückt sein, um einen gewissen Grad an Autarkie oder eine gewisse Reichweite zu erzielen. Aber auch andere Formen der Energiespeicherung (Biotreibstoffe, Wasserstoff, Methanol-Brennstoffzelle oder Methan) eignen sich. Insbesondere im Micro- und Nanobereich gelingt die Energieversorgung der Systeme auch über Licht oder elektrische, magnetische und akustische Felder.

Das zeigt, dass nicht nur einzelne Technologien, sondern vielmehr deren Integration ein wesentliches Element ist, um eine hohe Funktionsdichte beziehungsweise eine Minimierung der Funktionskosten zu erreichen. Für das Zusammenspiel zwischen physikalischen Sensoren, Aktoren und digitaler Verarbeitung sind Schnittstellen zwischen diesen Welten erforderlich, für deren Umsetzung entsprechende Softwaretechnologien essenziell sind. Schließlich werden auch Materialien für die Hülle von EI-Systemen benötigt, die – je nach Anforderungen und Einsatzgebiet – unterschiedliche Eigenschaften wie Leichtigkeit, Festigkeit, Haptik, Abnutzung, Widerstandsfähigkeit oder Wetterbeständigkeit aufweisen müssen. Auch hierbei spielen die Materialwissenschaften eine entscheidende Rolle.

Technisches Nervensystem

Das technische Nervensystem hat die Aufgabe, Informationen aus dem Körper und der Umwelt weiterzuleiten und zu verarbeiten. Dabei geht es analog um die Halbleitertechnologie, die aus Prozessoren, Speichern, Bus-Systemen und weiteren Komponenten aus der Mikroelektronik besteht. Im Idealfall erledigt das EI-Nervensystem bereits zahlreiche Routineaufgaben oder solche mit festen Reaktionsmustern. So sorgt ein Geschwindigkeitsassistent für eine automatisierte Geschwindigkeitsanpassung, wohingegen umfangreichere Planungs- und Steuerungsaufgaben künstliche Gehirnfunktionen darstellen, die auf dezidierten Hardwarekomponenten ausgeführt werden. Hierfür kommen hochintegrierte Rechenplattformen mit Modulen zur Datenverarbeitung zum Einsatz – beispielsweise aus dem Bereich des Neuromorphic Computing oder der Quantentechnologie, um die gewaltigen Datenmengen effizienter verarbeiten zu können. In den Bereichen der Photonik, Bio- und Optoelektronik gibt es einige aufstrebende Gebiete, die die Informationsverarbeitung und Telekommunikation stark verändern könnten.

Im engen Zusammenhang mit der Übertragung von Daten steht das Thema Sicherheit. Daten zur Entscheidungsfindung und -kommunikation autonomer Systeme dürfen nicht verfälscht oder abgehört werden können. Für die Informationsübertragung über größere Entfernungen oder für den Austausch mit anderen EI-Systemen oder Computersystemen eignen sich drahtlose Kommunikationstechnologien. Neben der Nahbereichkommunikation steht die Anwendung von Ad-hoc- sowie von infrastrukturbasierten Netzen aus den Bereichen der Mobil- oder Satellitenkommunikation zur Verfügung. Diese erlauben einen effizienten und direkten Austausch mit sehr geringem Interpretationsspielraum. Bei Menschen stehen eher Sprache, Gesten oder Mimik im Vordergrund, was auch die Interpretation der Signale durch das künstliche Gehirn beinhaltet.

Künstliche Gehirnfunktion

Das Gehirn steht bei Menschen und Maschinen für Intelligenz, die die Fähigkeit beschreibt, sich in neuen Situationen zurechtzufinden und Aufgaben durch Denken zu lösen. Im kognitiven Zyklus (siehe Kapitel 3) trifft dies im Wesentlichen auf die Elemente „Reasoning“ und „Learning“ zu. Nun sollen aber durch künstliche Gehirnfunktionen nicht nur Aufgaben gelöst, sondern auch die dafür notwendigen Entscheidungen abgewogen und getroffen werden. Die Bewertung des Resultats soll anschließend das eigene Handeln verbessern. Bei den ersten EI-Ausprägungen zeichnet sich ein Autonomiegrad auf Aufgabenebene ab, bei dem der Nutzer nur die Aufgabe vorgibt, die dann ohne weiteres Zutun erledigt wird. In der ferneren Zukunft fällt auch das Formulieren der Aufgaben durch den Menschen weg, was zu einer weiteren Steigerung der Autonomie führt. Das Selbstlernen funktioniert allerdings während des Betriebs bei unternehmenskritischen und sicherheitsrelevanten Anwendungen aufgrund von fehlenden Verifikationsmöglichkeiten (Mangel an Vertrauen) noch nicht. Eine von der Europäischen Kommission beauftragte Expertengruppe hat kürzlich drei Hauptbestandteile für vertrauenswürdige KI-basierte Systeme identifiziert37. Sie empfiehlt, dass diese mindestens die folgenden Eigenschaften aufweisen sollten: Das Verhalten sollte in allen möglichen Situationen rechtmäßig und robust sein sowie ethischen Maßstäben entsprechen.

Für die Umsetzung dieser Eigenschaften und Anforderungen sowie die weitergehende Entwicklung lassen sich einige Technologiethemen im Zusammenhang mit KI/ML für die Umsetzung eines EI-Gehirns ableiten.38

Hauptmerkmale von EI-Systemen und Softwarethemen
Abbildung 7: Zuordnung der Hauptmerkmale von EI-Systemen zu den Themengebieten im Softwarebereich

Das Gebiet der (robusten) KI/ML fokussiert sich aktuell ausschließlich auf das Lernen anhand von Beispieldaten, während eigene Erfahrungen unberücksichtigt bleiben. Dagegen ist beispielsweise Inverse Reinforcement Learning dazu geeignet, menschliche Absichten zu erkennen. Außerdem werden die technischen Schritte von der Datenverarbeitung bis zur Auswahl der Architektur und der Optimierung der Funktionsannäherung zunehmend automatisiert.39 Human-Centered AI/ML verfolgt das Ziel, symbiotische Beziehungen zu ermöglichen, in denen sich EI-Systeme und Menschen gegenseitig ergänzen. Diese Technologien helfen, menschliche Sprache, Emotionen und Verhaltensweisen zu verstehen und zu interpretieren. Aufgrund des menschlichen Inputs verbessern sich diese Verfahren kontinuierlich und ermöglichen dadurch eine effektive Erfahrung zwischen Mensch und Maschine.40

Kognitive Architekturen erstellen Abbilder von Aspekten der Umwelt und dem Menschen, gleichen diese mit Zielen ab und wählen daraufhin Handlungen aus. Dadurch gelingt es, kognitive Fähigkeiten und Ansätze mit künstlicher Intelligenz zu verbinden. Es gibt zahlreiche Demonstrationen von kognitiven Architekturen für die Durchführung von realen Aufgaben, etwa Navigation, Hindernisvermeidung, Objektmanipulation oder Hol- und Lieferaufgaben für mobile Roboter, die Müll oder Limonadendosen41 sammeln.

Teilweise besteht noch Unklarheit über die internen Modelle, Absichten, Verhaltensweisen und Strategien anderer verkörperter Akteure – sowohl von Menschen als auch von Maschinen. Üblicherweise wird zwischen Variabilität des Ergebnisses eines Experiments (Zurückzuführen auf inhärente Zufallseffekte) und Unsicherheit (verursacht durch mangelndes Wissen) unterschieden.42 Gerade diesen Aspekten begegnen EI-Dinge bei der Ausführung ihrer Tätigkeiten und Aktionen laufend.

Einfache EI-Systeme tauschen sich bereits aus, interagieren und schließen Verträge ab. Dieser Trend verstärkt sich zukünftig noch, um komplexere Aufgaben und Prozesse umzusetzen. Selbstintegration nutzt als Grundlage die Vertragstheorie und Verhandlungstechniken, um beispielsweise Fitnessarmbänder und deren Funktionen in ein Smartphone zu integrieren. In jüngster Zeit werden neben den reinen Funktionen und Fähigkeiten auch Garantien in Verträge zwischen Geräten aufgenommen, die bewertet und mit dem Konzept der Gewährleistungsfälle verwaltet werden können. Dadurch wird eine dynamischere, nachvollziehbarere und zuverlässigere Integration realisiert.43

Gerade bei der Interaktion mit Menschen und Aktionen in menschlichen Umgebungen kommt Sicherheitsaspekten und deren Analyse eine große Bedeutung zu, um einen vertrauenswürdigen Umgang zu ermöglichen. Allerdings lassen sich die Voraussetzungen für ein deterministisches Verhalten in genau definierten Betriebskontexten bei EI-Systemen nicht immer eindeutig erfüllen. Es besteht also eine generelle Problematik der Interpretation von KI in Softwaresystemen. Auch derzeitige Methoden der Sicherheitsanalyse (Industrienormen wie DO-178C in der Luft- und Raumfahrt oder ISO 26262 im Automobilbereich) sind nicht direkt anwendbar. Für das Testen von künstlichen neuronalen Netzen wurden beispielsweise spezifische, nicht-strukturelle Testabdeckungskriterien für die Robustheit, Interpretierbarkeit, Vollständigkeit und Korrektheit dieser Netze entwickelt.44 Auch im Bereich der Laufzeitverifikation und Wiederherstellung selbstlernender Systeme existieren erste Ansätze, etwa VerifAI, ein Laufzeitüberwachungssystem für autonome Systeme mit lernfähigen Komponenten.45 Auch die Laufzeitüberwachung typischer Sicherheits-Hyperproperties46 47 von Datenschutzrichtlinien48 und von kontextbezogener Integrität49 steht bereits im Fokus. So entsteht eine gute Basis für die Weiterentwicklung im Kontext von EI-Systemen.

Konzeptdiagramm der Digitalen Transformation 2.0
Abbildung 8: Konzeptdiagramm der Digitalen Transformation 2.0 mit einem Auszug an erforderlichen Technologien, Ressourcen und Fähigkeiten50

5.6. Basis künftiger Wertschöpfung

Die beschriebene Plattformökonomie hat in Verbindung mit EI das Potenzial für eine Basisinnovation, wodurch sie sich als langfristiges gesellschaftliches, wirtschaftliches und technologisches Ziel formulieren lässt. Die Entwicklungen in diesen Bereichen bringen den Menschen großen Nutzen. Dies bestätigt sich auch, wenn die grundlegenden Bedürfnisse im städtischen Umfeld mit den Markt- beziehungsweise Wachstumsprognosen der dafür relevanten Themenfelder korrelieren. Zu diesen Themenfeldern gehören neue IKT und sensorische Systeme, intelligente Werkstoffe und Produktion, Energieversorgung und Transport.

Hierbei wird die Leitindustrie maßgeblich für die Technologieentwicklung verantwortlich sein und diese so für andere Bereich verfügbar machen. Auch aus wirtschaftlicher Perspektive zeichnet sich eine nutzenorientierte Technologieentwicklung als vorteilhaft ab. Konkrete Einzeltechnologien lassen sich dabei kaum hervorheben, finden aber beispielhaft in Form von Bereichen oder Feldern bei den Architekturbeispielen Erwähnung. Zu den wesentlichen Elementen dieser und zukünftiger Technologiefelder zählt die Möglichkeit der Hochintegration, die auch schon im vorangegangenen Kapitel als wesentlicher Treiber identifiziert wurde. Als weiteres Gebiet der Hochintegration gilt das EI-Gehirn, in dem zahlreiche Aufgaben zusammenlaufen. Seine Funktionen und Fähigkeiten können auch Plattformökosystemen helfen.

Folgt man obigen Ausführungen, zeigt sich zudem, dass bisherige physische Marktplätze und Wertschöpfungssysteme immer mehr in virtuellen Infrastrukturen aufgehen. Nicht nur bei Onlinehändlern und sozialen Medien, sondern auch bei der Bereitstellung staatlicher und hoheitlicher Aufgaben ist dieser Trend erkennbar. Parallel dazu fällt auf, dass mit der Dezentralisierung der Energieerzeugung, dem Aufbau satellitengestützter Kommunikationsinfrastruktur oder mit selbstfahrenden Fahrzeugen die Aufgaben bisheriger Infrastrukturen zunächst von den Menschen quasi selbst, künftig aber von EI-Systemen erbracht werden.

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